Porträt: Der Tag im Arbeitsleben eines Streckenhändlers

Christopher Klemme ist Teamleiter für den Handel mit FE-Schrotten bei der RHM. Er hat das Streckengeschäft der RHM in diesem Bereich aufgebaut – und die dazugehörige Abteilung.

Das Smartphone klingelt. Christopher Klemme schaltet in den Arbeitsmodus. Es ist der Ein- und Verkäufer der Rohstoff-Handelsgesellschaft mbH (RHM) in ihm, der Händler, der jetzt erwacht und übernimmt. Seine Stimme wird tiefer, bestimmender, sein Blick geht geradeaus: „Kaufen …; Verkaufen …; wir machen das so!“ Das Christopher Klemme ist Teamleiter für den Handel mit FE-Schrotten bei der RHM. Er hat das Streckengeschäft der RHM in diesem Bereich aufgebaut – und die dazugehörige Abteilung. Geschäft mit Metallschrotten wird – häufig noch – per Handschlag besiegelt, wenngleich meist verbal. Erst im Anschluss regeln die Beteiligten notwendige Formalitäten. Man kennt und schätzt sich in der Branche. „Das Geschäft ist eine Sache des Vertrauens, des gegenseitigen Respekts – und vor allem des Fairplay“, sagt er. Wer falsch spielt, fliegt vom Platz.

Anfang 2009 wechselt der heute 52-jährige von der Unternehmenstochter REBO Metallaufbereitungs- und Entsorgungs-GmbH in Herne an die Rheinstraße nach Mülheim an der Ruhr. Bei REBO organisierte er als Streckenhändler das Vertriebs- und Handelsbüro für Norddeutschland. Seine neue Aufgabe: „Das hiesige Streckengeschäft aufbauen. Außer Thyssen-Krupp Stahl und dem Hüttenwerk Krupp-Mannesmann hatte die RHM – neben einigen anderen Verbrauchern – keine großen Abnehmer in diesem Bereich“, erinnert sich Klemme gut. Autark vom Mülheimer Ursprungsgeschäft stellt er als Einzelspieler das Streckengeschäft in andere Verbrauchsrichtungen auf: Zu Stahlwerken nach Hamburg, Bremen, Eisenhüttenstadt, Riesa und nach Spanien. Im Baltikum, etwa in Lettland oder Litauen, kauft er Metallschrotte ein. Vermehrt wird von Mülheim als Ladestation aus das Seecontainergeschäft bedient. Aus dem Einzelspieler wird eine Abteilung. „Wir sind heute acht Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Und wir sind ein gutes Team. Sich gegenseitig nahezu blind vertrauen zu können, das ist enorm wichtig für den gemeinsamen Erfolg.“

Das Smartphone klingelt erneut. „Da muss ich kurz ran gehen, das geht ganz schnell.“ Und wieder wechselt Klemme den bekannten Modus. Das Geschäft ist international; es wird englisch gesprochen. Sein Blick geht zielgerichtet durchs Fenster auf einen Berg aus Metallschrott. „Die größeren Lieferanten betreue ich selbst, die Verkäufe laufen komplett über mich.“ Sein Team unterstützt ihn einkaufseitig. Normale Arbeitstage? Kennt er nicht. „Eine Planung von Tag zu Tag gibt‘s nicht. Klar habe ich eine Idee, doch die wird am Folgetag oft über den Haufen geworfen, wenn morgens um 6:30 Uhr das Telefon klingelt und alles anders verläuft als geplant.“ Selbst spätabends greift er noch zum Hörer. „Telefonieren, daraus besteht der Großteil meiner Arbeit. Es gilt möglichst aktuelle Informationen über den weiteren Preisverlauf auf den nationalen und internationalen Märkten einzuholen, um sich darauf aufbauend ein Bild zu machen, wo kurzfristig Bedarfe sind, wo die Preise rauf oder runter gehen.“ Preisstabilität, die früher bei Tagen und Wochen lag, gibt es nicht mehr. Heute sei das Geschäft wie an der Börse, ein ständiges Auf und Ab, das Klemme eigentlich nur von Buntmetallen kennt. „Denn die sind börsennotiert, nicht aber der Stahlschrott, den ich handele. Früher hatten wir solche volatilen Schwankungen nicht, die heute das Tagesgeschäft ausmachen. Wenn ich morgens früh mit einem guten Gefühl eine Verkaufsentscheidung fälle, kann es sein, dass es bereits eine Stunde später die falsche Entscheidung gewesen ist.“ Ein Blick aufs Smartphone. Ein Anruf in Abwesenheit.

Schafft es Klemme nicht Verkäufe abzuschließen, haben die Kolleginnen und Kollegen im Einkauf ein Problem: „Denn wenn wir nicht verkaufen, verkauft uns keiner etwas. Der Markt ist auf Geben und Nehmen ausgelegt; eine Hand wäscht die andere“, sagt Klemme, der schon wieder nervös aufs Display seines Smartphones blickt. Prokurist der RHM ist er seit Mitte 2020 – ein weiteres Aufgabenfeld, das enorme Verantwortung mit sich bringt: Gegenüber der Geschäftsführung und den Gesellschaftern. „Gerade in Zeiten wie diesen“, seufzt er. Krisen, wie die Corona-Pandemie, die den Metallschrottmarkt zu einer Achterbahnfahrt hat werden lassen, oder Kriege, wie jener zwischen Russland und der Ukraine, wirken sich direkt aufs Geschäft aus. „Das bringt viel Unruhe und macht alles noch komplizierter.“ Unruhe, die ist Klemme gerade wieder einmal anzumerken. Das Smartphone vibriert, der Modus … „Entschuldigung, da muss ich jetzt wirklich ran gehen. Das ist sehr wichtig!“ Das Gespräch dauert länger.

Am Ende lächelt Christopher Klemme. Das Geschäft: Erfolgreich.

Autor: Pascal Hesse

Autor: Pascal Hesse

Freie Journalist und Publizist

Er schreibt u.a. für die Wochenzeitung DIE ZEIT, das Süddeutsche Zeitung Magazin, BILD, das Magazin FOCUS sowie bundesweit für verschiedene Lokal- und Regionalmedien. Seine Themen sind meist investigativ – aus Politik, Wirtschaft und Gesellschaft. Der Essener gehört dem WDR-Rundfunkrat sowie dem Verwaltungsrat der Verwertungsgesellschaft Wort (VG WORT) an

Fotos / Bildnachweise

  • Büro Klemme, Platz Klemme: Pascal Hesse
  • Foto Pascal Hesse: Udo Geisler
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